INSPIRATIONEN

Novalis und das Morgenland,
"Vaterland der Menschheit, Sprache und Dichtkunst"

Forschungsstätte für Frühromantik und Novalis-Museum, Schloss Oberwiederstedt

Ganz unterschiedliche Faktoren haben von den frühen Jugendarbeiten an Friedrich von Hardenbergs (Novalis) Beschäftigung mit dem Orient angestoßen und befördert. Die zeitgenössische Literatur und die Wissenschaften waren für ihn bedeutendste Quelle seines Wissens über den Orient.

 
Georg Friedrich Philipp von Hardenberg
Porträt unsigniert, undatiert,
Öl auf Leinwand
Archiv Forschungsstätte für Frühromantik

Was und wie fleißig er gelesen und dann auch gern nachgeahmt hat, macht der dichterische Nachlass transparent. Das in den Bildern von Lessings Schauspiel Nathan der Weise nahe gebrachte und als vertraut empfundene Morgenland, für das ihn auch Herder begeistert hatte, spiegelt sich in frühen, noch vor dem Studium zwischen 1788 und 1791 entstandenen Gedichten, Plänen und Entwürfen wieder.

Geschichte, Sprache und Schrift als "Werkzeuge der Kultur" bleiben die Dreh- und Angelpunkte von Hardenbergs Beschäftigung mit dem Orient, der sich als wichtiges Bezugsfeld seines Poesie-Konzeptes immer schärfer konturiert. Ein umfassenderes poetisches Orient-Bild entwirft er in seinem Roman Heinrich von Ofterdingen.


Das Morgenland, verstanden als Ursprungsland der biblischen Geschichte, eröffnet Friedrich von Hardenberg einen universellen geschichtlichen Zusammenhang. Wie ein Tableau aus bunten Mosaiksteinchen setzt sich sein Bild vom Orient zusammen, im Fokus die poetische Idee der "Religion des sichtbaren Weltalls", die ein Teil seiner Idee vom unendlichen Weg der Menschheit hin zu einem neuen Goldnen Zeitalter ist.


Goethe und der Orient, "Land des Glaubens, der Offenbarungen, Weissagungen und Verheißungen"

Goethe-Museum, Düsseldorf

Der Zeitraum von 1770 bis 1830 hat ein geistiges Zentrum in der Gestalt Goethes, der einem neuen Bild der Deutschen als Volk der Dichter, Denker und Musiker zum Durchbruch verhilft. In Goethe verkörpert sich das aufklärerische Universalitätsbewusstsein und die Öffnung hin zum Orient in besonderem Maße. Sein Gedichtband West-östlicher Divan, zuerst 1819 erschienen, vermittelt in den kommentierenden "Noten und Abhandlungen" ein breites, auch den Fernen Osten einschließendes Wissen von der islamisch-persischen Kultur und Religiosität, deren Bedeutung für Goethe in den Versen "Gottes ist der Orient! Gottes ist der Occident!" am Prägnantesten zum Ausdruck kommt.

Sich an Gedichte des mittelalterlichen persischen Dichters Hafis anschließend, lässt Goethe
die Gemeinsamkeiten sichtbar werden, grenzt Konfliktfelder ein und schafft damit eine Vorbildlichkeit für das 19 . Jahrhundert, die in dem Orientalismus etwa in August v . Platens Ghaselen, Friedrich Rückerts Östlichen Rosen, Heinrich Heines Liebesklagen im Buch der Lieder oder in Wilhelm Hauffs Märchenerzählungen zum Ausdruck kommt. Den "jüngeren Freunden des Orients" öffne sich "eine Pforte nach der andern", schreibt Goethe, und er bietet stellvertretend den Schlüssel für einen Dialog auf Augenhöhe an.

 
 Johann Wolfgang von Goethe,
Eigenhändige Reinschrift des Gedichts
"Ginkgo biloba" aus dem
 "West-östlichen Divan"
mit zwei von ihm eigenhändig
aufgeklebten
Ginkgo-Blättern, 1815
Goethe-Museum Düsseldorf

Goethes Begegnung mit dem Orient ist zudem ein Paradigma moderner, an das Erlebnis gebundener Ästhetik. Der Gedichtzyklus, in Bücher eingeteilt, der ab dem Sommer 1814 entsteht, verdankt sich der Begegnung mit Marianne Jung, bald darauf verheiratete v . Willemer, deren seelische Antwort in dem Sich-Hineinfinden in den Orient-Ton Goethes durch eigene Gedichte ihren Höhepunkt findet.